Projektionen oder Spiegel der Wahrheit? – Vom Jammer-Modus zur Klarheit in der systemischen Erlebnispädagogik
Projektionen erkennen – oder doch Spiegelung?
Manchmal fühlen wir uns wie die Projektionsfläche für alles, was andere nicht sehen oder nicht tragen wollen. Wir hören uns jammern: «Alle projizieren ihren Scheiss auf mich. Keiner sieht, wer ich wirklich bin. Immer soll ich die Last tragen.»
Doch in der systemischen Erlebnispädagogik zeigt sich: Projektionen sind nicht nur Ballast. Sie sind auch Einladungen, genauer hinzuschauen. Denn vielleicht sind wir gar nicht Opfer der Projektionen – sondern Spiegel, die unbestechlich sichtbar machen, was da ist.
Die Natur lehrt uns das: Ein Wald kennt den Winter, in dem alles kahl und leblos wirkt – und er kennt den Frühling, in dem dieselben Äste voller Kraft erblühen. Beides gehört zusammen. Genauso schwanken wir zwischen Jammer-Modus und Klarheit.
Projektion oder Spiegelung?
Der Jammer-Modus: Wenn Nebel über den See zieht
Stell dir einen klaren Bergsee vor. Er könnte die Landschaft spiegeln, rein und unverfälscht. Doch wenn Nebel aufzieht, verschwimmt alles. Du erkennst kaum noch die Umrisse, geschweige denn dein eigenes Spiegelbild.
Nebel zieht auf - die Sicht ist nicht mehr klar…
Genau so wirkt der Jammer-Modus:
«Ich werde nie so gesehen, wie ich wirklich bin.»
«Keiner checkt, dass ich auch Bedürfnisse habe.»
«Es ist egal, was ich tue, es reicht nie.»
Im Jammer-Modus fühlen wir uns wie ausgeliefert an die Projektionen anderer. Der Nebel macht uns glauben, dass wir orientierungslos treiben müssen. Alles wirkt verschwommen und schwer.
Situation klären…
Der Spiegel der Wahrheit: Klarheit finden
Doch der Nebel zieht weiter. Der Wind streicht über den See, das Wasser beruhigt sich – und plötzlich zeigt der Spiegel das, was da ist. Klar. Direkt. Ehrlich.
Hier entsteht der lösungsorientierte Modus. Wir sind nicht länger die Projektionsfläche, die fremden Ballast schluckt, sondern der Spiegel der Wahrheit. Unsere Haltung verändert sich:
«Ich sehe Lösungen, wo andere nur Drama sehen.»
«Ich inspiriere Menschen, grösser zu denken.»
«Ich halte Strukturen zusammen, wenn andere zerfallen.»
Klarheit bedeutet nicht Härte, sondern Unbestechlichkeit. Sie zeigt, was da ist – ohne Verzerrung.
Lösungen finden…
Ein persönlicher Blick – Projektionen, Lösungen und Urwunden
Ich selbst bin ein Mensch, der schnell in Lösungen denkt. Mir gelingt es häufig, nicht im Problem steckenzubleiben, sondern sofort auf die Lösungsebene zu wechseln. Das ist eine grosse Stärke – und oft auch ein Geschenk für mein Umfeld.
Und doch merke ich, wie herausfordernd es ist, wenn ich viel Energie in Lösungen gebe – in der Familie, am Arbeitsplatz oder in meiner Selbstständigkeit – und mein Beitrag kaum wahrgenommen wird. Es geht nicht um Applaus, sondern um das zutiefst menschliche Bedürfnis, gesehen und im eigenen Sein wahrgenommen zu werden.
Manchmal entsteht dann eine innere Spannung: Meine Gabe ist wertvoll – und gleichzeitig fordert sie mich heraus. Denn je öfter ich in Lösungen denke, desto mehr gebe ich auch. Und dann tauchen Fragen auf: Muss es wirklich immer ich sein, die den nächsten Schritt sieht? Ist das gerecht verteilt? Was bedeutet Gerechtigkeit überhaupt?
Genau in solchen Momenten zeigen sich tiefe Urwunden. Sie erinnern mich daran, dass Klarheit nicht bedeutet, immer stark zu sein oder ständig Lösungen zu liefern. Klarheit bedeutet manchmal, Schwäche zuzulassen und das Spiegelbild auszuhalten – auch wenn es unbequem ist.
Du hast immer die Wahl…
Vom Jammer-Modus zur Klarheit – deine Wahl
Wie in der Natur wechseln auch wir zwischen Nebel und Klarheit, zwischen Jammer-Modus und lösungsorientierter Haltung. Beides ist menschlich. Doch wir haben eine Wahl: Bleiben wir im Jammer-Modus stecken oder öffnen wir uns für die Klarheit, die der Spiegel zeigt?
Die systemische Erlebnispädagogik nutzt genau diese Bilder: Projektionen, Spiegel, Jammer-Modus, Klarheit. Sie sind keine Gegensätze, sondern ein Spannungsfeld, in dem Wachstum möglich wird. Denn der Spiegel zeigt, was da ist – auch wenn es unbequem ist.
Und genau das macht den Unterschied: Ob wir uns als Opfer fremder Projektionen sehen – oder als Spiegel der Wahrheit, der andere (und uns selbst) zu Klarheit einlädt.
Die Magie des Wandels…
Die Aufgabe des Spiegels
Die Natur urteilt nicht darüber, ob Nebel oder Klarheit «richtig» ist. Sie kennt nur Wandel, Bewegung, Kommen und Gehen. Genauso dürfen wir anerkennen: Es gibt Tage, an denen wir uns im Jammer-Modus wiederfinden – und das ist okay. Wichtig ist nur, dass wir dort nicht bleiben.
Denn hinter jedem Nebel wartet der klare See, der spiegelt, was wirklich ist. Vielleicht ist genau das unsere Aufgabe: Nicht alles schlucken, nicht alles tragen – sondern Spiegel sein. Ein ehrlicher, manchmal unbequemer, aber immer heilsamer Spiegel.
Die Frage ist nicht, ob andere projizieren. Die Frage ist: Bin ich bereit, das Spiegelbild zu halten – für mich und für die, die mir begegnen?