Mit dem Velo dem Rhein entlang – bewusstes Reisen zwischen Natur, Begegnung und innerer Bewegung

Vor gut zwei Jahren begann meine Schwester ein Herzensprojekt: Sie wollte mit dem Velo dem Rhein folgen – von seiner Quelle in den Alpen bis zur Mündung in die Nordsee. Ganz in ihrem Rhythmus, mit Pausen und Unterbrechungen, mit wechselnden Begleitpersonen, mit offenen Augen und offenem Herzen.

Damals, ganz am Anfang, durfte ich sie auf der ersten Etappe begleiten – von der Quelle aus, wo der Fluss noch jung und verspielt ist. Seither ist sie in Etappen immer weiter gereist, wenn es gerade passte. Und nun war es so weit: Die letzte Etappe stand an – von Koblenz bis zur Mündung. Diesmal durfte ich wieder mit dabei sein. Und wie schon beim ersten Mal spürte ich: Diese Reise ist mehr als Kilometer und Landschaft. Sie ist Bewegung auf vielen Ebenen – draussen und in uns.

Schwestern-Etappe: Koblenz bis zur Mündung in die Nordsee

Diese Reise war nicht in erster Linie ein sportliches Vorhaben. Sie war ein Eintauchen in das nomadische Unterwegssein – eine Lebensweise auf Zeit, die viele Gesichter kennt. Es kann das einfache Gehen zu Fuss sein, mit leichtem Gepäck, einer Übernachtung unter dem Tarp, dem Himmel so nah. Oder eben – wie in unserem Fall – mit dem E-Bike, die Nächte in kleinen Hotels, ein bequemes Bett, ein gutes Abendessen. Auch das ist Nomadentum: bewegt, frei, bewusst.

Doch was bedeutet eigentlich nomadisches Unterwegssein – in seiner ursprünglichen Form?

Modernes Nomadentum?

🌿 Wesenszüge des ursprünglichen Nomadentums

1. Leben im Rhythmus der Natur – Nomad:innen folgen den Jahreszeiten, den Wanderbewegungen der Tiere oder klimatischen Bedingungen. Sie leben im Einklang mit natürlichen Zyklen.

2. Reduktion auf das Wesentliche – Alles, was gebraucht wird, wird getragen oder transportiert. Besitz ist minimalistisch, das Leben funktional und auf das Notwendige reduziert.

3. Gemeinschaft und Selbstverantwortung – Nomadische Gruppen leben in engem Miteinander. Jeder Mensch trägt Verantwortung für das Ganze, sei es durch Hüten, Bauen, Kochen oder Heilen.

4. Kein fester Ort, aber tiefe Verwurzelung – Nomad:innen sind ortsunabhängig, aber stark verbunden mit bestimmten Landschaften. Ihre Heimat ist ein geografisches Gedächtnis.

5. Kulturen des Übergangs und der Resilienz – Diese Lebensweise erfordert Flexibilität, Anpassung und die Fähigkeit, Übergänge zu gestalten. Wandel ist kein Bruch, sondern Teil des Weges.

(Quelle: ChatGPT)

Äussere und innere Bewegung

Diese ursprünglichen Formen des Nomadentums erinnern uns daran, dass Mobilität und Einfachheit keine Flucht bedeuten, sondern eine bewusste Art, im Leben zu stehen. Und vielleicht liegt gerade darin eine Inspiration für unser modernes Unterwegssein – mit Velo, mit Komfort, mit offenen Sinnen.

Unterwegssein heisst, sich einzulassen. Auf Wetterumschwünge, auf unerwartete Begegnungen, auf den eigenen Rhythmus – und auf das, was im Inneren in Bewegung gerät. Manchmal bedeutet es, voranzukommen. Manchmal, stehenzubleiben. Sich zu verlieren – und sich wiederzufinden.

Verbundenheit mit den Elementen…

Der Fluss wurde zum Begleiter. Immer wieder tauchte er auf, mal nah und mächtig, mal fern und nur zu ahnen. Die Landschaften wechselten: weite Felder, geschäftige Städte, kleine Dörfer, industrielle Häfen. Und immer wieder: Begegnungen. Menschen, die uns offen und herzlich entgegenkamen. Gespräche am Wegrand, geteiltes Lächeln, echtes Interesse. Der Rhein verbindet nicht nur geografisch – er scheint auch Menschen zusammenzuführen.

Die Freude am Draussensein, an der Bewegung, am einfachen Leben – sie war da. Und mit ihr die Dankbarkeit für das Jetzt. Aber auch Traurigkeit mischte sich hinein. Nachrichten von Zuhause, Schicksalsschläge, die nicht an uns vorbeigehen. Auch das gehört zum Unterwegssein: dass wir nicht alles hinter uns lassen können. Und vielleicht ist es genau dieses Spannungsfeld – zwischen Leichtigkeit und Schwere, Nähe und Distanz, Freude und Schmerz – das diese Reise so lebendig macht.

Immer wieder ging es um das bewusste Erleben der Polaritäten. Digital – mit der präzisen Navigation per App, Streckenplanung, Wettercheck. Und gleichzeitig ganz analog – im Moment sein, spüren, wahrnehmen, ohne Filter. Die Balance zwischen Plan und Spontaneität. Zwischen dem „Wohin wollen wir?“ und dem „Was braucht es gerade?“

Dankbarkeit für das Jetzt

Und da ist noch etwas, das mich begleitet hat auf dieser Reise:
Habe ich den Anspruch, dass ich das Nomadentum auf ganz ursprüngliche Art & Weise lebe? Erlaube ich mir individuelle Anpassungen, weil sie für mich in diesem Moment gerade Sinn machen? Wie mache ich es in anderen Bereichen in meinem Leben? Lebe ich nach “Büchlein”? Erlaube ich mir meinen individuellen Weg, weil er sich richtig anfühlt?

Und so frage ich dich, wie du es machst?
Kochst du genau nach Rezept – oder lässt du dich lieber treiben und würzt nach Gefühl?

Liest du zuerst die ganze Bauanleitung – oder legst du einfach mal los und schaust, was passiert?

Ich gehöre in vielen Lebenssituationen zur Fraktion “Freestyle”. Ich erlaube mir je länger je mehr, meinen eigenen Weg zu gehen – natürliche unter der Bedingung, dass es nicht auf Kosten von anderen geht! Für mich zählt nicht, ob es 'nach dem Büchlein' läuft, sondern wie es sich anfühlt. Fühlt es sich frei an? Verbunden mit den Elementen, mit mir selbst, mit dem Moment?

Auf unserer Velotour habe ich mich genau so gefühlt: frei, unabhängig, durchlässig – in Kontakt mit Wind, Wasser, Licht, Begegnung. Und das ist für mich das, was zählt. Vielleicht mache ich es beim nächsten Mal wieder ganz strukturiert, nach Plan und mit exakter Vorbereitung. Vielleicht auch nicht. Who knows? Who cares?

Ein inniges Gefühl von Dankbarkeit, Glück und Wohlstand!

Was zählt, ist das Gefühl. Der innere Kompass. Das Vertrauen ins eigene Gespür.

Und dann ist da noch der Wind. Rückenwind – er trägt uns, lässt uns leichter gleiten, gibt das Gefühl, als würden sich selbst lange Strecken mühelos anfühlen. Und Gegenwind – zäh, kraftaufwändig, herausfordernd. Er zwingt uns, genauer hinzuschauen: Bleibe ich bei meinem Kurs, auch wenn es schwer wird? Verfolge ich mein Ziel trotz Widerstand – oder lasse ich mich treiben, wie eine Fahne im Wind, die ihre Richtung wechselt, sobald die Strömung sich ändert?

Der Wind wird so zum Spiegel unserer inneren Haltung. Er fragt: Wo stehst du? Wofür gehst du? Und wann gibst du nach, nicht aus Schwäche, sondern aus Weisheit? In diesen Momenten zeigt sich, was es heisst, wirklich unterwegs zu sein – aussen wie innen.

Am Ende dieser Etappe – und dieser Reise – bleibt ein Gefühl von Fülle. Das Meer liegt nun vor uns, weit und offen. Die letzte Station, und doch vielleicht erst der Anfang von etwas Neuem.

Denn das nomadische Unterwegssein – es endet nicht mit der Ankunft. Es lebt weiter in uns: in der Haltung, mit der wir durchs Leben gehen. Offen. Beweglich. Bewusst.

Weiter
Weiter

«Shinrin Yoku» – Warum uns der Aufenthalt in der Natur so gut tut